Design Thinking: So unterstützt es das Unternehmenswachstum
veröffentlicht am
13.8.2024

Design Thinking: So unterstützt es das Unternehmenswachstum

Wenige Branchen sind wahrscheinlich so dynamisch wie die IT-Branche. Innovation und Effizienz sind Fähigkeiten, die für den Erfolg von IT-Unternehmen entscheidend sein können.

Design Thinking hat sich als ein kraftvoller Ansatz zur agilen Unternehmensentwicklung etabliert, um kreative Lösungen zu entwickeln und die Bedürfnisse der Kunden in den Mittelpunkt zu stellen.  

Insbesondere in der Softwareentwicklung, wo die Anforderungen und Erwartungen der Kunden sich schnell ändern können, ermöglicht Design Thinking eine flexible und anpassungsfähige Herangehensweise.

In diesem Interview möchten wir untersuchen, wie Design Thinking und Produktentwicklung die Grundlage für ein gesundes Unternehmenswachstum bilden können.

Unser Experte Dr. Jürgen Langhanns wird uns ebenfalls seine Best Practices mit uns teilen und die Rolle des Design Thinkings für nachhaltiges Wachstum erläutern.

Design Thinking Definition

Kannst du uns zunächst erklären, was Design Thinking ist und warum es als wichtiger Ansatz für die Produktentwicklung und Innovationsprozesse in Unternehmen gilt?

Design Thinking ist ein Arbeitsfluss für Teams von der Idee bis Prototyp(en) inkl. Storytelling.

Der Fluss kann mit einer übergeordneten Frage, wie: Stell dir vor, es gibt eine Welt ohne Risiko!… oder mit einer eher spezifischen Frage, wie: Welche IT-Applikation kann uns helfen?… starten und endet in konkret umsetzbaren Ergebnissen.  

Dabei wird im Flow mit vielen Perspektiven gearbeitet und es verbindet Einzelarbeit mit Gruppendynamik. Dadurch kommen alle Wissensträger, unterschiedliche Persönlichkeiten, Erfahrungen und Perspektiven für ein neues Produkt oder Service zur Geltung.

Ich empfinde Design Thinking als einen wichtigen Ansatz, um nicht nur einfache Produktlösungen zu entwickeln, sondern eben gute Produktlösungen, die sich am Markt skalieren lassen.  

Dabei sehe ich Design Thinking als Teil eines Unternehmensinnovationsprozesses, dem Funneling.

 

Design Thinking und Unternehmenswachstum

Wie kann Design Thinking die Basis für ein gesundes Unternehmenswachstum bilden? Welche spezifischen Vorteile bietet dieser Ansatz?

Die Ergebnisse von Design Thinking lassen sich sehr leicht in das Canvas Business Modell überführen.

Das Canvas stellt auf einer Seite dar, was das Kundenbedürfnis ist, die dazugehörige Lösung, Kundenansprache etc. und eben auch den Wertstrom in Aufwand und Nutzen.  

Wurden mehrere Ideen so bearbeitet, lässt sich leicht anhand der geschäftsrelevanten Kriterien priorisieren und die Teams in die gewünschte Richtung zur Umsetzung schicken.

 

Kein Wachstum ohne Effizienz

Welche Methoden und Tools helfen, Prozesse effizienter zu gestalten?

Design Thinking in Kombination mit dem Systematic Inventive Thinking kann sehr gut innerbetriebliche Prozesse hinterfragen und neu designen.  

Ich nenne Prozesse lieber Arbeitsrhythmus. Arbeitsrhythmen sind danach effektiver und effizienter. Sie wurden nämlich von vielen Perspektiven betrachtet, um mehr Dynamik entfalten. Daher sind sie weniger starr und linear als Prozesse.  

Das liegt auch immer ein bisschen daran, inwieweit ein Prozess zusätzlich öffentliche Regulierungen beinhaltet.

Aus der eigenen Organisation heraus lässt sich sehr viel für Effizienz und Effektivität tun. Neueste Technologien können dabei behilflich sein, Arbeitsrhythmen zu unterstützen, allerdings erst dann, wenn sie an sich gut sind.  

Das ist auch in der Mechanik so. Ist die Auslegung nicht gut, hilft auch keine Software, um sie zu verbessern.

 

Die Grundlage für Innovation

Innovation ist das Ziel vieler Unternehmen, aber welche Voraussetzungen sind nötig, damit sie entstehen kann?

Das ist eine sehr gute Frage, und ich möchte die Antwort Claude Dornier überlassen: Nicht das Kapital bestimmt den Wert eines Unternehmens, sondern der Geist, der in ihm herrscht.

Ich bin der Auffassung, dass der Geist sich am besten entfalten kann, wenn die einzelnen Mitarbeiter, Teams und die Gesamtorganisation Raum und Zeit erhalten.  

Dann haben sie die Möglichkeit, neue Technologien wirtschaftlich gewinnbringend zu beleuchten und können dem Unternehmen zeigen, was alles möglich ist.

Voraussetzung ist also, dass sich das gesamte Unternehmen an Innovationen beteiligt – bottom-up-top-down, cross-functional und cross-organisational.  

Der Geist muss in alle Winkel des Unternehmens vordringen dürfen. Silodenken ist hinderlich.

Innovation als Schnittmenge von Mensch, Wirtschaft und Technologie



 

Design Thinking-Phasen

Wie geht man während eines Design Thinking Prozesses vor und wer sollte beteiligt werden?

Grundsätzlich sollten alle beteiligt werden, die sich für eine Ausgangsfrage interessieren.

Die Ausgangsfrage sollte also in der gesamten Organisation kundegetan werden, damit jede und jeder die Möglichkeit hat, sich dem Thema zu widmen.  

Damit ist schon mal ein Team zusammen, das intrinsisch motiviert ist und möglichst viele Perspektiven aus dem Unternehmen einbringt. Die beste Voraussetzung!

Um das Problem besser zu verstehen, sind potenzielle Kunden einzubeziehen und systematisch zu befragen und zu beobachten. Der Kunde wird allerdings nicht die Lösung präsentieren. Der Lösungsraum wird aufzeigen, was alles möglich ist und was wirtschaftlich ist. Auch hier ist cross-funktionales Erarbeiten gefragt.

Problemlösung

Kundenzentrierung

Wie hilft Design Thinking dabei, nah am Kunden zu bleiben und dessen Bedürfnisse besser zu verstehen? Kannst du Beispiele nennen, wie dies zur Entwicklung erfolgreicher Produkte und Dienstleistungen beigetragen hat?

Gehen wir die 6 Schritte einfach mal mit Kundenfokus durch. Die Struktur habe ich dem Strategic Design Thinking for Every Day des renommierten HPI entnommen und etwas zusammengefasst.

1.    Verstehen:  

Um zu verstehen, was den Kunden umgibt ist es notwendig Empathie zu entwickeln und die Vielfalt zu erkennen, die sich kontinuierlich ändert.  

Wenn man so rumschaut, erkannt man, dass Produkte und Services aufgrund von veränderter Infrastruktur und neuer technischer Möglichkeiten evolutionieren.  

Als archaischer oder wenigsten intrinsischer Kundenwunsch kann eigentlich oft Spaß, Bequemlichkeit oder Zeit angenommen werden.

 

2.    Einfühlen:  

Direktes Beobachten und Interviews mit betroffenen Nutzern bzw. potenziellen Kunden, lässt uns erkennen, wie der derzeitige Zustand ist und welche Wünsche dabei bisher nicht berücksichtigt wurden bzw. werden konnten (siehe 1. Verstehen).  

Wie bereits gesagt, der Kunde wird sich mit einer guten Lösung schwertun, aber die Bestandsaufnahme hilft, um vom Problemraum mittels Synthese in den ersten Lösungsraum zu kommen.

 

3.    Definieren:  

Damit der Lösungsraum offen und breit startet, ist es notwendig, weitere Perspektiven einzunehmen und zu betrachten, ob das Problem ggfls. an anderer Stelle bereits bearbeitet wurde. Wir versuchen Analogien zu finden, von deren Lösungen die Kunden bereits begeistert sind oder waren.

 

4.    Ideen:  

Erste Ideenskizzen werden als rapid Prototyping festgehalten und können anhand relevanter Parameter mit dem höchsten Kundenpotential in einen neuen Lösungsraum überführt werden. Auch an dieser Stelle ist es wichtig eine Iteration zurückzugehen und Analogien zu finden.

 

5.    Prototyp:  

Für einen guten Prototypen wird Systemdenken professionalisiert.  

Es ist vergleichbar mit Stakeholdermanagement oder mit Influencern des Kunden. Die haben eine Menge mitzusprechen, wenn es um die tatsächlich Kaufentscheidung geht.  

Wir kennen das aus dem Supermarkt an der Kasse. Die Kaufentscheidung für die Schokolade trifft das schreiende Kind, den Kauf erledigen die Eltern. Mit diesen Erkenntnissen wird das Finden einer guten Kundenlösung durch weitere Iteration verfeinert.

 

6.    Testen:  

Da die ersten 5 Schritte mit den jeweils zweiteiligen Vorgehensweisen nah am Kunden war und die Bedürfnisse in die Ideenfindung und Ideenumsetzung eingebunden war, lässt sie sich gut reflektieren und in eine Story verpacken, die viele nachvollziehen können.  

Was war die Kundensituation am Anfang, durch welches Tal der Tränen muss der Kunde bisher gehen und welcher Sonnenschein erwartet ihn, wenn er das Produkt oder den Service nutzt? Storytelling über den Kunden anhand der Lösung.  

Zu beachten ist, dass nicht jede Lösung zunächst hatte ein Problem hatte, dass dem Kunden bewusst war (Automobil, Smartphones).

Was ich an dieser Stelle zusammengefasst beschrieben habe, ist eigentlich eine 3-stufige Vorgehensweise.  

Mit gutem Verständnis für die einzelnen Elemente, verwende ich sie für Teamworkshops durchaus auch selektiv, um eine Basis für kundenspezifische Ansätze zu legen, damit sie ihre Produkte und Services weiterentwickeln.

Ganz kurz zwei, drei Beispiele:

Für einen Kundenworkshop bei der Deutschen Bahn habe ich gezielt mit zwei Fragestellungen gearbeitet, um über Design Thinking Themenpriorisierung und damit Kundenpriorisierung zu verdeutlichen.  

In Konzernen lässt sich leicht fragen, wer der Kunde denn eigentlich ist: Das Management, die Systemschnittstelle, der Systemanwender oder der zahlende Fahrgast.  

Das quick-win-Thema ist für das Management und den Fahrgast, das tiefere und aufwendigere slow-win-Thema ist für den Systemanwender und den Fahrgast vielversprechend.

Für eine Kooperation eines Blockchain-Start-Ups mit einer Gebrauchtwagen-Tradingplattform habe ich Design Thinking als Workshopplattform verwendet, erstens, damit beide Unternehmen sich auf eine leichte und gleichzeitig intensivere Art kennenlernen als nur am Runden-Tisch.  

Zweitens, damit sie sich auch technisch näherkommen. Und drittens, damit sie mit den Ergebnissen auch gleich Business Cases zum Abschluss als Entscheidungsvorlage präsentieren können. Mit dem MVP ist die Trading-Plattform zu potenziellen Kunden fürs Testing gegangen.  

Ähnlich bin ich bei einem FinTech für Payment-Solutions vorgegangen und das Team hat eine Feature-Landkarte inkl. priorisierter Roadmap ausgearbeitet, die dann nacheinander abgearbeitet werden konnte.

Für mich ist Design Thinking eine gute Methode, um Menschen und Technik für strategische Gedanken zusammenzubringen.

Chancen für die Softwareentwicklung

Welche speziellen Herausforderungen und Chancen siehst du bei der Entwicklung von Softwareprodukten für Endkunden? Wie kann Design Thinking diesen Prozess unterstützen?

Die größten Chancen liegt für mich darin, dass Design Thinking ein gutes Team-Spirit erzeugt, die gewonnen Ergebnisse über Canvas priorisiert und dann in Roadmaps gegossen werden können.  

Aus der gefundenen Lösung wird eine Story, aus der Story werden Tasks, die schnell und nachvollziehbare Inkremente und Releases umgewandelt werden.  

Geht Design Thinking in den natürlichen Arbeitsalltag über, wird der Flow als geringer und nützlicher Aufwand gelebt und wahrgenommen.

Praxisbeispiele

Kannst du konkrete Beispiele aus deiner Erfahrung nennen, bei denen Design Thinking im IT-Bereich zu signifikantem Unternehmenswachstum geführt hat?

Ich unterscheide zwischen Wachstum und Skalierbarkeit.  

Design Thinking ist zunächst dazu da, brauchbare Kundenfeatures darzustellen. Brauchbar sind sie dann, wenn sie sich am Markt skalieren lassen.  

Keine Firma braucht an Ideen und Features arbeiten, die hoher Aufwand sind, aber wenig oder gar keinen Nutzen bringen.  

Wachstum erfolgt dann, wenn noch mehr Mitarbeiter benötigt werden, weil so viele Ideen in Innovationen verwandelt werden und auf dem Markt gut ankommen, dass die bisherigen Teams unterstützt werden müssen.  

Das ist in den oben genannten Beispielen konsolidiert passiert. Erst skalieren, dann wachsen.

 

Best Practices

Welche Tipps hast du für Unternehmen, die sich innovativer aufstellen möchten? Wo sollten sie am besten ansetzten? Lass mich die Frage reformulieren: Wie schaffen wir es Unternehmen den besagten innovativen Geist zu beleben?

Einige Unternehmen haben damit begonnen, Innovation Hubs zu etablieren.  

Das ist ein guter erster Schritt. Unabhängig davon muss folgen, dass innovatives Denken in allen Teams und Einheiten herrscht.  

Dazu ist es notwendig, Möglichkeiten der Selbstorganisation zu bieten.  

Matrixorganisationen und Prozessdenken sind dafür nicht mehr zeitgemäß. Selbstorganisation stärkt die Instrinsik, und Intrinsik forciert den Pull-effekt einzelner Personen, Teams und ganzer Organisationen.  

Drittens, der Fokus von Selbstorganisation von Teams muss Produkt-Kunden-Zentriert sein – der Wertstrom steht ganz klar in der Mitte.  

Dadurch wird jede und jeder im Unternehmen in den innovativen Geist hineingezogen, um seine und ihre Ideen, Vorstellungen oder Objectives in den Innovation-Funnel einzubringen, die dann (nicht nur) mit Design Thinking verfeinert ausgearbeitet werden können.  

Die Verfeinerung kann räumlich in den neuen Innovation Hubs stattfinden, damit die Starrheit der Meetingräume aufgelöst wird.

 

Ausblick

Wie siehst du die Zukunft von Design Thinking in der Produktentwicklung? Welche Trends und Entwicklungen erwartest du in den nächsten Jahren?

Öfter habe ich schon gehört, dass aus Beratungssicht keine Nachfrage mehr nach Design Thinking existiert.  

Allerdings gibt es in meinem Praxisumfeld dann oft die Aussage, dass man ja noch nie so gearbeitet hat und voller Begeisterung für die eigens geschaffenen Ergebnisse ist.  

Ich glaube daher: Ja, Design Thinking ist im Markt bekannt, aber es wird nicht ausreichend praktiziert, obwohl es sich auch leicht daily, statt in einem 4-5 Tage Workshop, anwenden lässt.

Die Methode Design Thinking halte ich für zukunftsfähig. Systematic Inventive Thinking hatte ich bereits erwähnt, und halte ich auch stark ergebnisorientiert mit durchaus disruptiven Ergebnissen. Beides lässt sich kombinieren.

Crowd-Sourcing Ideas wie es bspw. im Gaming / Metaverse bereits Anwendung findet, ist auch ein Element für kundenzentrierte Wünsche, die ggfls. zu Innovationen werden. Aber Vorsicht, der Kunde ist nicht unbedingt der Finder der guten Lösungen.

Ich persönlich bin ein Fan von Konvergenz und glaube daher, dass nicht eine Methode die andere absolut ablöst, sondern sich weiterentwickelt, sich selbst (durch das HPI) evolutioniert oder durch die Anwender wie mich. Am wichtigsten für mich jedenfalls ist der Benefit für den zahlenden Endanwender einer Applikation.

 

Über unseren Experten:

Dr. Jürgen Langhanns

Dr. Jürgen Langhanns ist professioneller Design Thinking Experte und Agile Coach. Ausgebildet und zertifiziert nach internationalen Standards (HPI und scrum.org), gibt er Unternehmen unterschiedlicher Größen und Branchenlösungen kundenspezifische Workshops und Umsetzungsoptionen, damit sie skalieren und gesund wachsen.

Dabei setzt Jürgen auf Leadership und unterstützt die Kraft der Selbstorganisationen von Teams und gesamten Organisationen. Die damit erzeugte intrinsische Motivation in den Teams, für das Unternehmen Wertvolles und Gutes zu leisten, was im PULL-effekt jedes Teammitgliedes mündet, erzeugt den notwendigen Raum und die Zeit dem Unternehmen aufzuzeigen, was alles möglich und wirtschaftlich ist.

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